Barlachs letzte Wirkstätte am Inselsee in Güstrow (Christin Sobeck)

Ernst Barlach gehört zu den bedeutendsten Künstlern des deutschen Expressionismus. Verwurzelt ist er im Norden, genauer gesagt im mecklenburgischen Güstrow. Auch rund 80 Jahre nach seinem Tod ist er hier allgegenwärtig.

Der erste Anblick des roten Backsteinhauses, das versteckt zwischen Bäumen am Rande des malerischen Inselsees liegt, überrascht. Es überrascht mit einer Normalität, mit einer Idylle und Beschaulichkeit, die zu vertraut ist, um sie mit dem Refugium eines weltbekannten Künstlers zu verbinden.

In dem typisch mecklenburgischen Landhaus hat der Bildhauer, Grafiker und Dramatiker Ernst Barlach die letzten Jahre seines Lebens gewirkt, während er gleich im Haus nebenan bei seiner Lebensgefährten Marga Böhmer lebte. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges ließ er das Atelierhaus bauen, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dass die erwarteten Aufträge angesichts der veränderten politischen Verhältnisse ausbleiben werden. Das heutige Museum, das mit hunderten Plastiken, Handzeichnungen, druckgraphischen Werken, Skizzenbüchern und persönlichen Dokumenten einen umfassenden Einblick in das Schaffen Ernst Barlachs ermöglicht, liegt rund zehn Autominuten vom Zentrum von Güstrow entfernt.

Mit dem Rad fahren wir die alte Plauer Straße der hübschen Kleinstadt entlang, gerade zu auf das herrschaftliche Schloss, das im 16. und 17. Jahrhundert mecklenburgischen Herzögen als Hauptresidenz diente. Kurz bevor das schmucke Renaissancebauwerk vor uns auftaucht, erblicken wir rechter Hand Ernst Barlachs erstes Domizil in seiner Wahlheimat. Im Jahr 1910 bezog der kreative Handwerker gemeinsam mit seiner Mutter Luise und seinem Sohn Nikolaus eine Wohnung in dem Stadthaus. Nur wenig erinnert dieser Tage noch an den bekannten Mieter des Hauses, würden nicht gleich nebenan die „Barlach-Stuben“ mit regionalen Köstlichkeiten ihren Namensgeber hochleben lassen.

Den Spuren Barlachs folgend passieren wir die Güstrower Altstadt mit ihren urigen Fachwerkhäusern, schmalen Kopfsteinpflastergassen und imposanten Bürgerhäusern. Bereits nach einem Jahr zog Ernst Barlach mit seiner Familie weiter in ein Haus in der Hageböcker Straße, am äußeren Rand des alten Stadtkerns. Von hier führte sein Weg fast täglich in ein Atelier, das er sich in einem alten Hinterhofpferdestall, später in einer Güstrower Autowerkstatt eingerichtet hatte. Was dort in den Folgejahren entstand, ist heute weltbekannt. Plastiken und Skulpturen wie „Der Zweifler“ oder „Lachende Alte“ gehören zu den Meisterwerken des deutschen Expressionismus, den Barlach weniger durch das Aufbrechen in das Exotische prägte, als durch die Suche nach dem „Neuen“ in der eigenen Kultur und vertrauten Umgebung.

Ein Blick in die nahegelegene Gertrudenkapelle verspricht diese Intention Barlachs deutlich zu machen. Die spätgotische Kapelle aus dem 15. Jahrhundert zeigt in einem Ausstellungsraum rund 30 Werke des Künstlers, welche ausnahmslos in der Güstrower Schaffenszeit entstanden sind. Die berühmteste Barlachstätte markiert jedoch der Güstrower Dom, dessen 44 Meter hohes Turmmassiv bereits von weitem auf sich aufmerksam macht. Der älteste Bau der Stadt, der 1335 nach einer rund hundertjährigen Bauzeit eröffnet wurde, bewahrt heute die wohl bekannteste Plastik des Expressionisten. Der „Schwebende“, gänzlich aus Bronze gegossen und das schmerzliche Geschehen des Ersten Weltkriegs verdeutlichend, ruht waagerecht über den Köpfen der vielen Besucher. Dabei ist das, was mit seiner Geschichte und Aura fasziniert, nur ein Abguss. Das Original ist 1937 von den Nationalsozialisten als entartete Kunst eingestuft und wenige Jahre später eingeschmolzen worden – zurückgelassen wurde das Gipsmodell des Ehrenmals.

Über den alten Barlachweg, einem birkenumsäumten Wanderpfad, gelangen wir zurück zum Inselsee. Der Blick auf das backsteinerne Atelierhaus wirkt vertraut. Die Beschaulichkeit und Normalität harmonieren – mit Barlachs Leben genauso wie mit dem kleinen Städtchen Güstrow im mecklenburgischen Land.

Weitere Informationen gibt es unter www.guestrow-tourismus.de.

Museum rund um Ernst Barlach:

Ernst-Barlach-Atelierhaus mit Ausstellungsforum-Graphikkabinett: Biografische Ausstellung, Werksammlung und Sonderausstellungen zur Klassischen Moderne (Eintritt: 6 Euro)

Ausstellungen zu Ernst Barlach:

Güstrower Dom: „Der Schwebende“, „Kruzifix II“ und „Der Apostel“ (Eintritt: kostenlos)

Pfarrkirche: „Grabmal Pauly“ (Eintritt: kostenlos)

Gertrudenkapelle: Rund 30 Skulpturen und Plastiken, unter anderem die Werke „Gefesselte Hexe“ und „Gemeinschaft der Heiligen“ (Eintritt: 4 Euro)

Veranstaltungen und Termine rund um Ernst Barlach (Auswahl):

6. Oktober 2019, 15.00 Uhr: Kuratorenführung durch die Sonderausstellung „Der Kopf verfolgt mich“ – Ernst Barlach als Porträtist (Eintritt und Führung: 8 Euro)

23. November 2019 bis 23. Februar 2020: Neue Sonderausstellung „Flächenbrand Expressionismus. Holzschnitte aus der Sammlung Joseph Hierling“ im Ausstellungsforum-Graphikkabinett (Eintritt für Erwachsene: 6 Euro)

5. April 2020: Vorösterliche Ostereiersuche zwischen Skulpturen von Ernst Barlach auf dem Gelände der Gertrudenkapelle

14. bis 16. August 2020: Das große Ernst-Barlach-Jubiläumswochenende – 150 Jahre Ernst Barlach im Ernst-Barlach-Atelierhaus

Spuren von Ernst Barlach:

Ernst Barlachs erste Wohnung in Güstrow (1910-1911): Plauer Straße 6 (sein Atelier befand sich in der Plauer Straße 2)

Ernst Barlachs zweite Wohnung in Güstrow (1911-1931): Schweriner Straße 22 (heute: Hageböcker Straße 40)

Ernst Barlachs Atelier im Pferdestall (1911-1927): Hinterhof in der Schützenstraße 30 (heute: Zu den Wiesen)

Ernst Barlachs Atelier in der Autowerkstatt (1927-1931): Hinterhof in der Walkmühlenstraße 21