Der Künstler starb am 6. Juli 2021
Die Werkschau zum 70. Geburtstag Walter Libudas war im Corona-Jahr 2020 das wichtigste Ausstellungsereignis im Kunstmuseum Ahrenshoop. Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Bildkästen aus 35 Schaffensjahren waren zu sehen: ein betörender mentaler Weltentwurf voll Leuchtkraft, Wucht, Brisanz und Dichte, voll Beunruhigung und visionärem Wagemut, voll provokanter Spiellust, voll Humor und träumerischem Glanz. Dass sein Erfinder nun verstarb, entreißt der Kunstwelt einen großen, originären Bildschöpfer.
Walter Libuda war ein prominenter Künstler, einer der herausragenden seiner Generation in Deutschland. Bedeutende Museen sammeln seine Werke. Wichtige Ehrungen wurden ihm zuteil – so 1999 der Fred-Thieler-Preis für Malerei der Berlinischen Galerie und 2000 der Gerhard-Altenbourg-Preis des Lindenau-Museums Altenburg. Seit 1998 war er Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.
1950 in Thüringen geboren, studierte Libuda an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, war Meisterschüler und Assistent Bernhard Heisigs. Von Anfang an entzog er sich dem gängigen thematischen und bildschriftlichen Kodex der Leipziger Schule. Er trat mit Bilderfindungen hervor, die als hermetisch und als kryptisch galten, weil man ihre Botschaft nicht sofort verstand. Libuda hat jedoch am eigenen Leib erfahrene, durchdachte, durchempfundene Wirklichkeit als visuelle Gegenwelt ganz neu erdichtet. Diese faszinierende und sicher auch berauschende Verwandlungsarbeit trieb sein Schaffen voran und wurde über die Jahrzehnte immer vielschichtiger. Die ungebärdige Expressivität seiner früheren Werke mündete in feineres Maß und strengere Ordnung.
Seit 1985 lebte Walter Libuda in Berlin, seit 2004 in Schildow am Nordrand der Hauptstadt. Schon beizeiten griff seine Arbeit von der Malerei und Zeichnung auf andere Gestaltungsfelder über: die Skulptur, als Bronze und Keramik, die Assemblage in filigraner Ausformung und in monumentalem Format, schließlich die Bildkästen, bei denen alle Mittel ineinandergreifen. Wie Reliquienschreine üben diese Werke einen starken Sog aus – so, als seien hier Zeugen einer verschütteten Lebenswelt präpariert worden, damit man sich ihrer erinnert. So war Walter Libuda: Er interessierte sich dafür, was Menschen vor sich hertragen und was in ihnen verschüttet ist. In seiner Bildwelt steht der Mensch im Mittelpunkt, mal groß, mal winzig, mal als Kürzel nur vorhanden. Als Akteur, der das im Farbraum Ausgebreitete erfährt, es denkt, es träumt und ausspinnt, Hand anlegt und sich versteigt zu Taten, Schritten, die verstören. Der das Raumgefüge mit sich füllt, hineinwächst und sich dort verborgen hält, sich birgt in Ungetümen, die die Zivilisation erschaffen hat. Das Wesen Mensch im Reich der unerhörten Farben und der machtvollen Figur des Seins. Er probt verschiedene Wege, zu bestehen, in sich horchend einmal und ein andermal das Fremde im Spaziergang nehmend, zwischen Höhenflug und Absturz, voller Neugier auf das wunderträchtige Konstrukt der Welt.
Libuda selbst hat all das intensiv erfahren. Manche sahen ihn als Einzelgänger, doch er war ein Menschenfreund, ein scharfsinniger Menschenkenner. Schon seit Jahren hatte sich der Künstler mit dem Thema Zeit beschäftigt. Eine eindrucksvolle Serie großer Gemälde mit dem Titel „Sieben Tage – eine Woche“ spricht davon. In dieser Serie wechselt ein sich immer ähnlich bleibender Fremdenführer durch gelebte Zeit von einem Tag zum anderen wie von einem Raum in einen nächsten. Die Behausung dort ist jeweils knapp bemessen, sein darin begonnenes Spiel lässt er zurück. Man weiß nicht, was zurückgelassen werden muss und was bewahrt wird, sieht nur, dass Veränderung im Gange ist. Libuda hat gewusst, dass Kunst ein Wert ist, der nicht selbstverständlich überdauert. Er hat auch gewusst, dass Menschen häufig vor der Kunst erschrecken. Das verurteilte er nicht. Deshalb verließ er nicht das Spiel. Herausgenommen hat ihn erst der Tod. Sein Werk lässt er zurück, mit manchem, was er noch begonnen hat. Es ist ein wichtiges, ein kostbares Vermächtnis aus Kunst und Menschlichkeit.
von Dr. Katrin Arrieta, Künstlerische Leiterin des Kunstmuseum Ahrenshoop