Jahrhunderte prägten Segelschlitten die Winterkulisse des Saaler Boddens. Heute können die ehemaligen Lastenträger auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst nur noch selten erspäht werden. Auf Törn mit einem der letzten Eissegler der Region.
Angestrahlt von der Sonne ist bereits von weitem der rund drei Meter lange Kufenflitzer zu vernehmen. Unvertaut liegt er da, auf dem einer Mondlandschaft ähnelnden Boddeneis. Zu Fuß geht es den kurzen Weg zum Schiff. Dick eingepackt und voller Freude auf die nur selten passende Gelegenheit.
Jens Lochmann ist einer der letzten Eigner historischer Segelschlitten auf Fischland-Darß-Zingst. Nur noch etwa 50 Exemplare der ehemaligen Lastenesel verstecken sich in Schuppen auf der Halbinsel. „Inklusive der nicht mehr intakten“, sagt Lochmann, der sich hauptberuflich und mit großer Leidenschaft für den Erhalt alter Holzschiffe einsetzt. Angetan haben es ihm vor allem Zeesboote. Und eben Segelschlitten. Beide ausgestattet mit ihren markanten Trapezsegeln und flachem Holzrumpf. Perfekt angepasst an die Gegebenheiten des nur wenige Meter tiefen Gewässers im Hinterland der beliebten Urlaubsregion.
Dann geht es los. Der Wind zerrt mit fünf Beaufort an den zimmergroßen Leinentüchern, die Antrieb und Lenkung zugleich sind. Ein ab und an durch wildes Segelflattern unterbrochendes Summen umhüllt den Schlitten, dessen Intensität die zunehmende Geschwindigkeit eindrucksvoll vermittelt. „Die Schnelligkeit des Segelschlittens bei rauhen Wetterverhältnissen ist einmalig“, freut sich Lochmann, als er mit einem sanften Zug am Segel die Richtung ändert. Schnell nimmt der Schlitten wieder Fahrt auf, gleitet auf einem Wasserfilm, der sich zwischen Kufen und Eis legt.
Doch ist das, was Jens Lochmann und die Handvoll anderen aktiven Eissegler der Boddenregion in den Bann zieht, mehr als nur die Geschwindigkeit. „Das Naturerlebnis aus verwunschenen Landschaften und faszinierenden Lichtspielen, die sich zwischen den Segeln auftun, ist immer wieder verzaubernd. Und nicht weniger die Geschichte der Schlitten“, sagt der gebürtige Halbinsulaner, während die steife Brise sein Gefährt immer mehr in Schräglage versetzt.
Die Geschichte der alten Sägelsläden lässt sich bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Von Fischländer Schiffszimmerleuten gefertigt wurden die aus Eichen- und Nadelholz konstruierten Eisschlitten vor allem zum Personen- und Lastentransport auf dem Bodden eingesetzt. Während Wege und Straßen auf dem festen Teil der Halbinsel im Winter unpassierbar waren, gelangten auf diese Weise Schweine, Kartoffeln und auch der ein oder andere Besucher unkompliziert in die einstige See- und Handelsstadt Ribnitz – und wieder zurück. Ein weiterer Teil der Segelschlitten wurde wiederum für die Fischerei genutzt und diente als sicherer Ausgangspunkt für Eisangler. Anders als heute, wie Jens Lochmann klar und augenzwinkernd zu verstehen gibt: „Eissegeln ist zum Hobby geworden. Aber zu einem, das ein Stück regionale Kultur bewahrt und damit nicht ganz ohne Sinn daherkommt.“
Mit einem Grinsen steuert er seinen Schlitten zum Ausgangspunkt zurück. Ohne Navigationsgerät und ohne Steuerruder peilt der Bootsbauer zwei quergelegte Holzlatten an, die auf der rund 15 Zentimeter dicken Eisschicht liegen und den Liegeplatz markieren. Angelockt von dem seltenen Spektakel hat sich inzwischen eine Traube von Zuschauern auf das Eis gewagt. Und zu Lochmanns Segelschlitten. „Nicht ungewöhnlich“, kommentiert er die staunende Menschentraube. Wenige Momente später rauscht der Schlittenführer wieder los. Diesmal mit Begleitung. Angestrahlt von der Sonne und voller Freude über die seltene Gelegenheit.
Weitere Informationen zur Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und zur Tradition des Eissegelns gibt es unter www.fischland-darss-zingst.de.